Georg von Schleinitz – ein moderner Nachfahr als Pionier der Südsee

Georg von Schleinitz (1834-1910) – Kommandant, Meeresforscher, Weltumsegler und Ehrendoktor der Universität Greifswald

Georg von Schleinitz war zwar kein gebürtiger Pommer, aber in seiner Entwicklung und Persönlichkeit wurde er auch für und in Pommern wirksam. Als Georg Emil Gustav erblickte er am 17. Juni 1834 als Sohn des Freiherrn Johann Eduard von Schleinitz und seiner Gattin Johanna von Hippel in Bromberg, heute Bydgozsz, in der damaligen preußischen Provinz Posen, heute Wojewodschaft Kujawien-Pommern, das Licht der Welt. Noch im Kindheitsalter von elf Jahren, kam der adlige Junge zur preußischen Marine, die ihm eine glänzende Karriere ermöglichte. Bereits mit 21 Jahren gehörte er zur Besatzung der Korvette „DANZIG“, die im Sommer 1856 unter dem Befehl von Admiral Prinz Adalbert von Preußen (1811-1873) eine Erkundungsfahrt ins Mittelmeer unternahm. Dabei bestand er seine erste Feuertaufe im Gefecht von Tres Forcas am 7. August des gleichen Jahres gegen die kabylischen Rifpiraten an der marokkanischen Mittelmeer-Küste. Zwei Jahre später erfolgte die Beförderung zum Leutnant zur See. Der junge Offizier zeichnete sich nicht nur durch seemännische und militärische Begabung aus, sondern auch durch seine wissenschaftlichen Neigungen.
Das preußische Kriegs- und Marineministerium, dem seinerzeit der gebürtige Pommer und Militär Albrecht von Roon (1803-1879), zuletzt Generalfeldmarschall, vorstand, wählte von Schleinitz mit zu den Schiffsoffizieren aus, die die preußische „Ostasien-Expedition“ unter der Leitung des Diplomaten Friedrich Albrecht zu Eulenburg (1815-1881) in den Jahren von 1860 bis 1862 nach Siam (Hinterindien), China und Japan begleiteten. Das kleine Geschwader, bestehend aus den Segelkriegsschiffen „ARCONA“, „THETIS“, „FRAUEBLOB“ und „ELBE“, stand unter dem Kommando von Konteradmiral Henrik Ludvig Sundevall (1814-1884), einem gebürtigen Schweden in preußischen Diensten. Von Schleinitz fungierte dabei als Flaggleutnant des Geschwaderchefs. Die Expedition hatte die Aufgabe, das Königreich Preußen als den führenden Staat im Deutschen Bund – das kleinstaatliche politische Gebilde von 32 Territorien bestand von 1815 bis 1866 – in Ostasien zu repräsentieren und insbesondere mit China und Japan Handels-, Freundschafts- und Schifffahrtsverträge auszuhandeln und abzuschließen. Die Vertragsabschlüsse konnten nach langwierigen Verhandlungen mit beiden Kaiserreichen im Verlauf des Jahres 1861 realisiert werden. Aber der handelspolitische Erfolg Preußens in Fernost forderte einen hohen Preis. Es war der Verlust des Kriegsschoners „Frauenlob“ zu beklagen, der am 2. September 1860 vor Yokohama in einem Taifun mit der gesamten Besatzung von 41 Mann unterging.
Nach der Rückkehr in die Heimat wurde von Schleinitz 1864 zunächst Erster Offizier auf der Dampfkorvette SMS „ARCONA“. Kurz darauf beorderte man den erfahrenen Seeoffizier als Adjudant und Dezernent ins Preußische Kriegs- und Marineministerium nach Berlin. Im März 1869 erfolgte die Beförderung zum Korvettenkapitän und die Ernennung zum Kommandanten der Korvette SMS „ARCONA“. Da in jenem Jahr die Eröffnung des Suez-Kanals vorgesehen war, erhielt von Schleinitz mit seinem erprobten Schiff die ehrenvolle Aufgabe, den preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm (1831-1888) und späteren deutschen „99-Tage-Kaiser“ Friedrich III. im Jahr 1888, zu den Feierlichkeiten nach Ägypten am 17. November zu geleiten. Dazu hatte der osmanische Vizekönig von Ägypten, Muhammad Said Pascha (1822-1863), Förderer des Kanalbaues und Freund des Erbauers Ferdinand de Lesseps (1805-1894), europäische Fürsten und hochrangige politische Persönlichkeiten eingeladen. Nach dieser politisch-repräsentativen Mission Preußens kam von Schleinitz mit der „ARCONA“ 1870 in westindischen Gewässern, so in Haiti, zum Einsatz. Während dieser Zeit vollzogen sich im Staatengebilde des Deutschen Bundes, dem 1866 der Norddeutsche Bund nachfolgte, enorme innenpolitische Umwälzungen, die mit Kriegen verbunden waren, so dem Deutsch-Dänischen Krieg (1864), Preußisch-Österreichischen Krieg, auch Deutscher Krieg (1866) genannt, und Deutsch-Französischen Krieg (1870/71). Diese militärischen Konflikte auf dem Weg zur Reichseinigung werden auch als „Deutsche Einigungskriege“ bezeichnet. Als der Deutsch-Französische Krieg 1870 ausbrach, befand sich von Schleinitz mit seiner Korvette „ARCONA“ in den Seegewässern der portugiesischen Azoren. Da Portugal neutral war, konnte das preußisch-deutsche Kriegsschiff ungehindert in den Hafen der portugiesischen Hauptstadt Lissabon einlaufen.
Nach der Proklamation des Deutschen Kaiserreichs mit dem preußischen König Wilhelm I. (1797-1888) als Kaiser und dem energischen Reichskanzler, Fürst Otto von Bismarck (1815-1898), an der Spitze, erhielt von Schleinitz nach dem Friedensschluss mit Frankreich 1871 erneut die Anstellung als Dezernent im Kriegs- und Marineministerium. Er war dort bis 1874 tätig. Es erfolgte seine Beförderung zum Kapitän zur See. Gleichzeitig erhielt der vierzigjährige Seeoffizier vom Kriegsminister und ersten Chef der 1872 neu gegründeten Kaiserlichen Admiralität, Generalleutnant Albrecht von Stosch (1818-1896), das Kommando über die Korvette SMS „GAZELLE“. Das Schiff war zuvor in ostasiatischen und karibischen Gewässern gefahren und 1873 in der Kaiserlichen Werft Danzig für eine Expedition rund um die Welt umgerüstet worden.

Korvette SMS „GAZELLE“

Die Forschungsfahrt begann am 21. Juni 1874 in Kiel mit 338 Mann Besatzung an Bord, darunter 15 Offizieren, die auch für differenzierte wissenschaftliche Aufgaben vorgesehen waren, sowie mehreren Akademikern. Nach Zwischenstopp in Plymouth in England am 5. Juli steuerte das Schiff in den Atlantik und nahm Meeresforschungen und Vermessungen bei den Inseln Madeira, Kap Verden, Ascension und an der Westküste Afrikas, so am Kongo und an der Küste Liberias, vor. Nach Aufenthalt am Kap der Guten Hoffnung (Südafrika) steuerte das Schiff mit Kurs auf die subantarktischen Kerguelen-Inseln im südlichen Indischen Ozean und stellte dort in den nächsten Monaten insbesondere astronomische Beobachtungen hinsichtlich des Venus-Transits am 9. Dezember 1874 an. Die Inseln St. Paul am 12. Februar 1875 und Mauritius im Indik anlaufend, wurden ab 22. April 1875 die Westküste Australiens und die vorgelagerte Insel Dirk Hartog erforscht. Als nächste Positionen folgten der Dampier-Archipel an der australischen Nordwestküste, die Inseln Dana (Pamana) und Timor in den heutigen indonesischen Gewässern sowie am 2. Juni die Molukkeninsel Ambon. Vom 16. bis 21. Juni widmeten sich Besatzung und Wissenschaftler des Expeditionsschiffes SMS „Gazelle“ der Erforschung der Westküste Neuguineas, der zweitgrößten Insel der Erde. Dort wurde u.a. erstmalig der ausgedehnte Mac Cluer-Golf, die heutige Bentuni Bay, vermessen. Das Küstengewässer ist in unserer Zeit Teil des indonesischen Gebietes West-Papua. Nächstes Ziel waren die Anachoreten-Inseln, die heutigen Kaniet-Atolle, in der Bismarcksee in Melanesien, die man am 8. Juli erreichte. Am 18. Juli ankerte SMS „Gazelle“ vor der Insel Neu-Hannover, heute Lavongai, die zum Bismarck-Archipel gehört. Auf der mit 1.126 km2 Fläche etwas mehr als Rügen größeren Südseeinsel befindet sich das noch heute so bezeichnete „Tirpitz-Gebirge“, das während der deutschen Kolonialzeit nach dem deutschen Großadmiral Alfred von Tirpitz (1849-1930) benannt wurde. Die Eingeborenen von Neu-Hannover zeigten sich wie die von Neu-Guinea als sehr kriegerisch, trotzdem konnten Forschungen wie auch auf der benachbarten langgestreckten Insel Neu-Mecklenburg, heute New Ireland, erfolgen, wobei eine dortige Meeresstraße den Namen „Gazelle-Kanal“ erhielt. Am 11. August lichtete SMS „Gazelle“ die Anker und lag bereits am nächsten Tag vor der benachbarten großen Insel Neu-Pommern, die heute New Britain heißt. Die Schiffscrew empfand die Südseeinsulaner (Papuas) Neu-Pommerns bei ihren mehrwöchigen Aufenthalt gesetzter und friedfertiger als andere in der melanesischen Inselwelt, denn diese besuchten ohne Angst und Scheu das Schiff. Die Südseeinsel im heutigen unabhängigen Staat Papua-Neuguinea, ist mit einer Gesamtfläche von 36.520 km2 doppelt so groß wie das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In Neu-Pommern erkannte man dessen östlichen Teil, der bisher als Insel galt, jedoch als Halbinsel. Sie wurde nach dem Schiff „Gazelle-Halbinsel“ benannt. Das nächste Etappenziel war am 25. August 1875 die Insel Bougainville der Salomonengruppe. Die angelaufenen Inseln des noch heute so bezeichneten „Bismarck-Archipels“ waren von 1885 bis 1899 Teil der deutschen „Schutzgebiete“ (Kolonien) in der Südsee und unterstanden zunächst der 1882/85 gegründeten „Neuguinea-Kompagnie.“ Von 1899 bis 1918/19 gehörten die Inseln administrativ zum kaiserlichen Gouvernement Kaiser-Wilhelms-Land, später Deutsch-Neuguinea. Die deutsche Kolonie auf Neuguinea wurde nach dem 1. Weltkrieg (1914-1918) 1921 völkerrechtlich zum australischen Mandatsgebiet erklärt und 1975 mit dem australischen Territorium Papua zum unabhängigen Staat Papua-Neuguinea vereinigt. Die weitere Reise führte das Forschungsschiff nach Brisbane an der australischen Ostküste und nach Auckland in Neuseeland. Von Auckland aus erreichte das Schiff die polynesischen Inselgruppen Fidschi, Tonga (11. Dezember) und Samoa am Heiligabend 1875, wo man längere Zeit verweilte. Auch das damalige Inselkönigreich Samoa war von 1899 bis 1914 deutsche Kolonie. Von Apia auf Samoa aus begab man sich auf Heimatkurs quer durch den Pazifik in Richtung Südamerika und lief am 1. Februar 1876 in die Magellan-Straße ein. Nach kurzem Aufenthalt im chilenischen Hafen Punta Arenas in Patagonien wurde Montevideo in Uruguay erreicht. Danach erfolgte der vorletzte Zwischenstopp auf der Azoreninsel Fayal am 10. April, und anschließend mit Halt in Plymouth machte das kaiserlich-deutsche Expeditionsschiff SMS „Gazelle“ von seiner Reise um die Welt am 28. April 1876 wieder die Leinen im Heimathafen Kiel fest.
Es war die erste Weltumrundung unter der Flagge des Deutschen Kaiserreichs, die heute nach 140 Jahren kaum noch bekannt ist. Die Expedition brachte eine Vielzahl von wissenschaftlichen Ergebnissen und Exponaten aus den Bereichen Ozeanographie, Astronomie, Geographie, Geologie, Kartographie, Botanik, Zoologie, Ethnographie und weiteren mit nach Hause. In den Jahren zwischen seiner Rückkehr 1876 und 1883 wurde von Schleinitz in hohe Ämter berufen, so zum Vorstand des Hydrographischen Amtes der Admiralität, Mitglied des Generaldirektoriums des Vermessungswesen in Preußen, ständiger Beisitzer des Kaiserlichen Oberseeamtes, Mitglied der Deutschen Polarkommission und Ehrenmitglied des Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erdkunde zu Leipzig. Das Vereins-Verzeichnis vom 31. März 1885 führt ihn als neuntes Ehrenmitglied von zwölf auf. Während dieser Zeit erfolgte die Beförderung zum Konteradmiral, und 1888 schied Georg von Schleinitz als Vizeadmiral aus der Marine aus.

Karte von Neu-Pommern

Da er Südsee-Erfahrung besaß, folgte er dem Ruf der seinerzeit gegründeten „Neuguinea-Kompagnie“, die für den Erwerb von Kolonialbesitz für das kaiserliche Deutschland in der Südsee verantwortlich zeichnete, das Amt des Landeshauptmanns (Gouverneur) des Schutzgebietes „Kaiser-Wilhelm-Land“ vor Ort im neu errichteten Verwaltungssitz Finschhafen zu übernehmen. Während seiner Amtszeit als erster Landeshauptmann bzw. Gouverneur, die allerdings nur bis 1. März 1888 währte, förderte er die Ausrüstung wissenschaftlicher Expeditionen, um auch das unbekannte Innere der gewaltigen Insel Neuguinea, insbesondere den Fluss Sepik, seinerzeit als „Kaiserin-Augusta-Fluss“ geläufig, zu erforschen. Aber das ungesunde Klima – seine Frau Margot war dort 1887 mit vierzig Jahren an Malaria verstorben und seine vier Kinder lagen erkrankt darnieder – zwang Georg von Schleinitz unter Aufgabe seines Amtes im März 1888 zur Rückkehr nach Deutschland. Nach einer erneuten Malaria-Epidemie 1891, die auch den Generaldirektor der Neuguinea-Kompagnie Eduard Wissmann und weitere Angestellte dahinraffte, sah man sich auf höherer Ebene gezwungen, den Verwaltungssitz von Finschhafen schließlich nach Herbertshöhe, heute Kokopo, auf der klimatisch gesünderen Insel Neu-Pommern zu verlegen. Der Inselort etablierte sich nun bis 1910 als Sitz des Gouverneurs und zur „Hauptstadt“ der Kolonie Deutsch-Neuguinea. Fern der Südsee und aller Romantik, bearbeitete der Vizeadmiral a. D. auf seinem Gut Hohenborn bei Bad Pyrmont in Niedersachsen den Reisebericht seiner Weltumrundung, der unter dem Titel „Die Forschungsreise S.M.S. `Gazelle` in den Jahren 1874 bis 1876 unter Kommando des Kapitän zur See Freiherr von Schleinitz“ vom Hydrographischen Amt des Reichsmarine-Amts in Berlin 1888-1890 herausgegeben wurde. Freiherr Georg von Schleinitz‘ enorme Verdienste bei der Erforschung der Meere waren ausschlaggebend, dass der Vizeadmiral, Kommandant, Weltumsegler und Wissenschaftler anlässlich der 450-Jahrfeier der pommerschen Universität Greifswald am 3. August 1906 die Ehrendoktorwürde eines Dr. phil. verliehen bekam. Am 12. Dezember 1910 verstarb er im Alter von 76 Jahren und wurde auf dem Friedhof zu Lügde beigesetzt.
Obwohl von Schleinitz als Vorbote zur Errichtung eines kurzzeitigen deutschen Kolonialreiches in der Welt zu werten ist, das nach Ende des 1. Weltkrieges gegenstandslos wurde, sind sein edler Charakter und die Tugend sowie seine wissenschaftlichen Leistungen unbestritten. Ein Expeditionsteilnehmer, der Schweizer Arzt und Zoologe Dr. Theophil Studer (1845-1922), brachte es später so zum Ausdruck: „Wenn für die Expedition von S.M.S. `Gazelle` noch auf anderen Gebieten, als auf denen der Hydrographie und Küstenvermessung Erfolge zu verzeichnen sind, so ist dieses hauptsächlich das Verdienst des Kommandanten des Schiffes, Freiherrn von Schleinitz, dank dessen regen Interesse für alle wissenschaftlichen Fragen dem Naturforscher nicht nur jede Erleichterung zum Sammeln und Beobachten gewährt, sondern auch eine Fülle von Anregungen geboten wurde.“ Eine bis zu 1482 m hohe Bergkette auf der Insel New-Ireland, ehemals Neu-Mecklenburg, in Papua-Neuguinea erinnert als „Schleinitz-Gebirge“ noch heute an den deutschen Südseeforscher und Weltumsegler.
Dipl.-Hist. Lutz Mohr, Greifswald