Ina von Grumbkow

Ina von Grumbkow (1872-1942) – nur eine Abenteurerin?

Eine pommersche Adlige auf Spurensuche in Island im Sommer 1908.
Pommern hat im Laufe seiner Geschichte zahlreiche Söhne und Töchter, darunter von Rang und Namen, hervorgebracht, die in der Welt umher reisten und dabei wider Willen zum Abenteurer wurden. Dazu gehörte zweifelsohne auch Ina von Grumbkow, die einem alten pommerschen Adelsgeschlecht entstammte. Seine Wurzeln im Landkreis Stolp in Hinterpommern reichen bis zum Jahr 1426 zurück. Sie wurde als Viktorine Helena Natalie, kurz Ina, des Adligen Viktor von Grumbkow (1842-1872) und dessen bürgerlicher Ehefrau Ina Bendixen (1840-1914) am 15. September 1872 in Övelgönne geboren, das heute zu Hamburg eingemeindet ist. In der adligen Familie waren seit alters her hohe Militärs, Staatsmänner, Juristen und zu ihrer Zeit auch Schriftsteller, so ihr Vetter, der Autor und Jurist Waldemar von Grumbkow (1888-1959), vertreten. Die Erziehung und Ausbildung sowie der weitere Lebensweg Inas als adlige Tochter waren demzufolge vorgezeichnet. Das Schicksal wollte es, dass sie den acht Jahre jüngeren und namhaften Geologen und Privatdozenten Dr. Walther von Knebel (1880-1907) aus Berlin kennenlernte, sich verliebte und sich mit ihm verlobte. Beide konnten nicht erahnen, dass das Jahr 1907 eine einschneidende Wende, besser Tragödie, herbeiführen und sie für immer trennen sollte. In jenem Jahr unternahm der ehrgeizige Walther von Knebel eine technisch modern ausgerüstete Island-Expedition im kleinen Stil, um den Vulkanismus auf der nördlichsten Insel Europas, insbesondere die kaum bekannte Bergkette Askja (1510 m), geologisch näher zu erforschen. Im Vorfeld dazu hatte er sich bereits 1905 auf eine selbst finanzierte Forschungsreise nach Island begeben, dabei die nötigen Erfahrungen gesammelt und kundige isländische Freunde gewonnen, die ihn erneut begleiten sollten. Nach seiner Rückkehr aus Island wollten Ina und ihr Verlobter heiraten. Im Frühjahr 1907 begab sich Walther von Knebel, begleitet von seinem Freund, dem Berliner Landschaftsmaler Max Rudloff auf dem Seeweg von Deutschland nach Island, das damals noch als autonomes Gebiet zu Dänemark gehörte und erst 1944 unabhängig wurde.
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Karte aus dem Buch: “Isafold” von Ina von Grumbkow
Die nordisländische Hafenstadt Akureyri wurde die Ausgangsbasis für ihre Expedition. In Akureyri kam auch der junge Student der Geologie Hans Spethmann (1885-1957), später ein anerkannter Geologe und Islandkenner, hinzu. Alle drei nahmen nun den strapaziösen Weg ins zentralisländische Hochgebirge Dyngjuföll in Angriff, um zum Vulkanmassiv Askja, „Die Schachtel“, am Rand des ausgedehnten Gletscherfeldes des Vatnajökull zu gelangen. Als Führer begleiteten die Deutschen Knebels alter isländischer Bekannter Ögmundur Sigurdsson aus Reykjavik und zwei weitere Isländer. Die Ausrüstung der kleinen geologischen Expedition vervollständigten 27 Islandpferde als Pack- und Reittiere und ein zerlegbares Faltboot deutscher Produktion. Nach Überwindung des gefürchteten Odadarhaun, übersetzt „Lavafeld der Missetäter“, erreichte der berittene Forschungstrupp am 1. Juli 1907 die Askja. Dort angekommen, nahm das Unheil alsbald seinen Lauf. In der ersten Juliwoche entsandte der deutsche Expeditionsleiter merkwürdigerweise – wohl wegen ungünstiger Wetterlage und Futtermangel für die Pferde in der menschenleeren Einöde – die isländischen Begleiter mit allen Tieren zum nächstgelegenen Bauerngehöft, das aber tagelang entfernt war. Die Isländer warnten vor ihrem Fortgang jedoch die Deutschen, bis zu ihrer Rückkehr keinesfalls das auf dem Transport in Mitleidenschaft gezogene Boot auf dem Kratersee Öskjuvatn einzusetzen, zumal es vorher nicht getestet worden war. Aber während der Abwesenheit der Isländer, muss sich bei den Forschern eine Art Tragödie zugetragen haben, bei der von Knebel und Rudloff ihr Leben verloren. Spethmann aber überlebte. Nach seinen eigenen Aussagen, mit denen sich später noch die Justizbehörden beider Länder beschäftigen sollten, betrieb er weit entfernt vom Kratersee allein in der Askja Forschungen. Nach seiner Rückkehr zum Zelt fand er seine beiden Gefährten und das Boot nicht mehr vor. Der Student Spethmann reagierte sofort und sandte über den Vorfall ein kurzes Telegramm in die Heimat. Das Unglück und seine mysteriösen Umstände sorgten damals sowohl im kaiserlichen Deutschland als auch auf Island und in Dänemark für großes Aufsehen und viele Spekulationen um den einzigen Überlebenden Hans Spethmann als Gewährsmann. Bereits am 1. August 1907 entsandten das Deutsche Konsulat und die isländischen Behörden einen Suchtrupp mit Hans Spethmann zur Askja. um das Schicksal der Verschollenen aufzuklären. Nach den bisherigen Erkenntnissen hatten die beiden Deutschen mit dem nicht intakten Boot doch Vermessungsarbeiten auf dem großen, tiefen und eiskalten Kratersee durchgeführt. Sie kamen dabei anscheinend am 10. Juli 1907- seit diesem Tag gelten von Knebel und Rudloff offiziell als verschollen – durch eine plötzliche Steinlawine unter der Südwand der Askja zu Tode, die Boot samt Insassen in die Tiefe riss. Der Öskjuvatn gilt mit 221 m als der tiefste Kratersee Islands. Später fand man ein unbeschädigtes Paddel, die Leichen wurden nie geborgen! Ina von Grumbkow, selbst geologisch vorgebildet, zeigte sich nach diesen Nachrichten sehr betroffen, wollte sich damit aber nicht zufrieden geben. So plante sie – für eine Frau in der damaligen Zeit ein außergewöhnliches Ereignis – eine eigene Expedition im Jahr 1908 zu starten, um endgültige Gewissheit zu erlangen. Deshalb wandte sie sich wegen der erforderlichen Mittel wie zuvor ihr Verlobter wegen seiner Island-Expedition 2007 ebenfalls an den „Humboldt- Fonds für Naturforschung und Reisen der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.“ Die Mittel wurden ihr bewilligt. Für ihre private Suchexpedition konnte sie zudem den Berliner Geologen Dr. Hans Reck (1886-1937) gewinnen, der später Professor und ihr Ehemann werden sollte. Per Schiff erreichten sie am 24. Juni 1908 die isländische Hauptstadt Reykjavik. Das dortige Deutsche Konsulat stellte Ina den erfahrenen Sigurdur Sumarlidarson als Führer zur Seite. Nach emsigen Vorbereitungen und tagelangen Erkundungsritten in Westisland, darunter zum bekannten Vulkan Hekla (1491 m), bewältigte der kleine Suchtrupp die anstrengende und zeitraubende Landesquerung in Richtung Norden und wählte ebenfalls Akureyri als Ausgangsbasis. Nach Aufenthalt am Myvatn, dem „Mückensee“, erreichten sie den majestätischen Tafelberg „Herdubreid“, „Die Breitschultrige“ (1682 m), der die schier endlosen Lavafelder überragt. Hans Reck gelang dabei die Erstbesteigung des gewaltigen Vulkanberges. Im Hochsommer1908 türmte sich endlich die gefürchtete Askja, der „Todesvulkan“ Knebels und Rudloffs, vor ihnen auf. Dort fanden sie das schwere Holzboot der 1. Suchexpedition vom August 1907 wieder, aber keine weiteren Anhaltspunkte. Außerdem bekam das Forscherpaar eine Nachricht des bekannten Islandforschers Heinrich Erkes (1864-1952)) übermittelt, der kurz zuvor ebenfalls auf Spurensuche in der Askja weilte und keine Spur von den Vermissten fand. Nach wochenlanger erfolgloser Suche In der Einsamkeit der unwirtlichen isländischen Bergwelt, begleitet von Kälte und Sturm, gelangten Ina von Grumbkow und Hans Reck wie andere vor ihnen zu der Auffassung, dass von Knebel und Rudloff im Dienst der Wissenschaft doch der unberechenbaren isländischen Natur zum Opfer gefallen waren. Zum Gedenken an die Verunglückten errichteten die drei Expeditionsmitglieder eine etwa vier Meter hohe Steinpyramide am Westufer des Öskjuvatn und meißelten in eine Lavaplatte die Inschrift: „1907. Walther von Knebel. Max Rudloff“ ein.
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Karte aus: Die Pommersche Zeitung v. 20.09.2014 (erstellt und mit freundlicher Genehmigung durch: Michael Hammermeister, Leitender Redakteur)

Die steinernen Zeugen überdauerten die Zeit und wurden 1994 wiederentdeckt. Im September 1908 verließen beide den Hafen von Reykjavik in Richtung Heimat. Auf dem Island-Dampfer „Ceres“ schrieb Ina in ihr Tagebuch: „Das Rätsel, das wir in menschlicher Weise zu lösen suchten, ist ungelöst geblieben, und nach irdischem Schema findet die Frage nach dem `Wie und Warum` des 10. Juli 1907 keine Beantwortung. Wir müssen uns bescheiden, die Grenze des Verstehens erreicht, den Hauch der Ewigkeit gefühlt zu haben.“ Trotz intensiver Nachforschungen konnte das Schicksal der beiden 1907 vermissten deutschen Islandforscher von Knebel und Rudloff bis heute nicht restlos aufgeklärt werden. Ina von Grumbkow und Hans Reck sollten Island nicht wiedersehen. Sie heirateten 1912, und Ina legte ihren Adelsnamen ab. Die bemerkenswerte Frau hat sich als Ina Reck in Island bleibende Verdienste erworben. Gemeinsam mit Hans Spethmann unterbreitete sie den Vorschlag, die beiden Kraterseen der Askja – Öskjuvatn und Viti – zu Ehren der verschollenen deutschen Forscher als „Knebelsee“ und „Rudloffkrater“ zu bezeichnen. Sie verfasste über ihre abenteuerlichen isländischen Erlebnisse das beachtenswerte Buch „Isafold – Die Eisumschlungene“, mit dem sie ihr Debüt als Schriftstellerin erlebte. Es erschien bereits 1909 in einem deutschen Verlag. Während und nach dem 1. Weltkrieg lebte Ina mit ihrem Mann zeitweilig in Afrika und nahm an dessen Ausgrabungen für das Museum für Naturkunde Berlin am Berg Tendagura im ehemaligen Deutsch-Ostafrika, heute Tansania, teil. Aber nach dem Tode ihres Mannes im August 1937 auf afrikanischen Boden, zog sie sich in die gemeinsame Villa nach Glienicke bei Berlin zurück und verstarb dort während der Zeit des Zweiten Weltkrieges vereinsamt am 30. Januar 1942. Ihre Grabstätte ist nicht bekannt. Sie gilt als die erste ausländische Frau, die das zentrale Hochland von Island bezwang.

Dipl.-Hist. Lutz Mohr, Greifswald