Wer die „Bernsteinstadt“ Ribnitz-Damgarten, das Tor zur Halbinsel Fischland – Darß – Zingst besucht, wird nicht sogleich erfahren, dass sich in ihrer Umgebung nördlich im Ortsteil Langendamm am Ufer des Saaler Boddens im Schilfgürtel ein uralter und geschichtsträchtiger Findling befindet, der einst als Grenzstein zwischen Mecklenburg und Pommern diente Welche Bedeutung der Stein für unsere Vorfahren während der Slawenzeit (600-1200) hatte, wissen wir nicht. Es gibt jedoch Überlegungen, dass er mit dem Ausgang der Schlacht an „Raxa“(Recknitz) am 16. Oktober 955 im Zusammenhang steht, nachdem die Truppen König Ottos I. die vereinten slawischen Obotriten und Lutizen besiegten und demzufolge das frühfeudale Deutsche Reich seine politischen Grenzen weiter nach Osten vorschob. Als sich im Verlauf des 12. Jahrhunderts die slawischen Herzogtümer Mecklenburg und Pommern sowie das Fürstentum Rügen etablierten und sich in diesem Zusammenhang die Städte Ribnitz (1233) und Damgarten (1258) links und rechts am Unterlauf der Recknitz, dem alten Grenzfluss zwischen Mecklenburg und Pommern, aus Burgsiedlungen entwickelten, erforderte die Situation hinsichtlich der mecklenburgischen Grenze nach Osten neue Festlegungen. Diese führten in der folgenden Zeit zu langwierigen Reibereien. „Wegen der schwierigen Verhältnisse: Wasser und Sumpfflächen, zurückgehender Strand auf der einen und Bültenbildungen (Bülten = Schilfinseln, L.M.) auf der anderen Seite und ungenauen Vermessungen kamen Zwistigkeiten um die Grenzen hierzulande in alter Zeit häufig vor“(G. Berg 1999). Mecklenburg selbst befand sich damals in einer komplizierten Lage, da im Verlauf des 13. Jahrhunderts vier Teilherzogtümer existierten. Der mecklenburgische Herzog (Heinrich) Borwin III. (1236-1277) oder sein Nachfolger Waldemar von Rostock (1277-1282) denen auch Ribnitz untertan war, ließ die westliche Landesgrenze 1271 wie folgt fixieren: „Nachmals von der Recknitz bis in die saltze (salzene) See zu beiden Seiten der Seeschläge und so fort bis in die wilde See zwischen beiden Ländern als Mecklenburg und Barth zum Moyssmerstein bis zum Ahrenshoop und von dannen ins wilde Meer“ (Zit. G. Berg 1999). Der „Moischenstein“ tritt damit zum ersten Mal aus dem Dunkel der Geschichte. Das genannte slawische „Land Barth“ gehörte zum Fürstentum Rügen und kam nach Aussterben dieser Fürsten 1325 zum Herzogtum Pommern-Wolgast. Die mecklenburgische Grenzfestlegung von 1271 wurde vom dänischen König Erik VI. Menved (1286-1319) am 16. August 1311 bestätigt, der zu dieser Zeit die einstige dänische Vorherrschaft im norddeutschen Raum (1168-1227) wieder herstellen wollte und sich als „König der Dänen und Wenden“ betrachtete. Das entsprechende Dokument enthält neben der königlichen Bestätigung der Ribnitzer Privilegien auch den damaligen Grenzverlauf wie folgt: „Ebenso den See (der Saaler Bodden, L.M.), dessen Grenzen sich von einem gewissen, in das Wasser geworfenen Stein, zwischen dem Dorf Moysentorp auf der einen Seite bis an den Haken, der gewöhnlich Arneshop (Ahrenshoop, L.M) genannt wird und sich weiter ausdehnt, auf der anderen Seite erstrecken. Ebenso der See vor der benannten Stadt Ribbenitz (der Ribnitzer See als Verlängerung des Saaler Boddens, L.M.) und bis an den Fluß, der Rekkenitze (Recknitz) heißt, und von beiden Ufern bis an den Fluß oder das Gestade desselben Sees mit allen Freiheiten, Eigentum, Lübischem Rechte und Fischereigerechtigkeit, die den genannten Ratsherren und Bürgern der Stadt Ribbenitz gehören sollen, so dass es in besagtem See (dem Ribnitzer See, L.M.) keinem Menschen erlaubt ist zu fischen, wenn nicht mit ihrer besonderen Erlaubnis …. Gegeben zu Warnemünde anno domini 1311, am Tage nach Mariae Himmelfahrt“ (Zit. P. Kühl 1933). Damit erscheint der Moischenstein urkundlich zum zweiten Mal. Interessant ist hierbei, dass ein Dorf namens Moyssentorp genannt wird und der an dessen Boddenstrand liegende markante Findling nicht nur als Grenzstein zwischen Mecklenburg und Pommern von enormer Bedeutung war, sondern zugleich als Fixpunkt für die ursprüngliche Ribnitzer Fischereigrenze angesehen wurde. Das verschollene Moyssentorp (Moischendorf) ging anscheinend in dem späteren Wendorff auf, das als Fischerdorf noch im Preußischen Urmesstischblatt von 1835 verzeichnet ist und später verschwand, da in den 1930er Jahren davon nur noch Mauerreste zu sehen waren. „Die Streitigkeiten um die Fischgründe zwischen Mecklenburg und Pommern, später zwischen Preußen und Mecklenburg, begannen im Mittelalter und setzten sich fort bis hinein ins 20. Jahrhundert“ (F. Meyer-Scharffenberg 1986). Dem Moischenstein kam dabei immer eine zentrale Rolle zu. Im 16. Jahrhundert hatten sich die Reibereien um die Fischereigerechtigkeit in diesem Grenzbereich derart zugespitzt, dass 1591 zwischen den Herzögen von Mecklenburg und Pommern der so genannte „Malchiner Rezeß“ vereinbart wurde. Danach verlief die Grenze folgendermaßen: „Von einem neu zu setzenden Ortmale auf dem Lehmufer am Salzmeer (Ostsee) bei Ahrenshoop sollte die Scheide am Vittenzaun (Vittebrook) entlanglaufen, mitten in der alten Wiek gegen den Kronsberg und dann schnurrecht (in Nordsüdrichtung) auf den Meißner Stein (dem sagenumwobenen Mäuschenstein). Von diesem Steine sollte das Ufer des Boddens bei mittlerem Wasserstande bis zur Mündung der Recknitz die Ländergrenze bilden. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass diese Grenze der heutigen entspricht“ (G. Berg 1999). Da merkwürdigerweise kein Vertreter der mecklenburgischen Stadt Ribnitz, der „Hausherrin des Saaler Boddens“, beim Vertragsabschluß in Malchin zugegen war, konnte Pommern die Grenze zu seinen Gunsten verändern, die bis 1842 unverändert gültig blieb. Im gleichen Jahr wurde zwischen Preußen und Mecklenburg ein neuer Vertrag, „Ahrenshooper Grenzrezeß“ genannt, ausgehandelt. Die vom Moischenstein durch den Saaler Bodden verlaufende Grenze verschob sich im Ergebnis erneut zu Ungunsten der Mecklenburger. Nunmehr ergab sich folgende Grenzlinie: „Hohes Ufer bis zu der von Althagen nach Ahrenshoop führenden Straße, die mit ihren Einbiegungen und Vorsprüngen als Hoheitslinie angenommen wurde, weiter bis zu dem Fußsteig, der von der Anhöhe von Jörks Gehöft in Althagen auf einem Wall nach den Ahrenshooper Wiesen führte, dann durch das im Wasser stehende Rohr in gerader Linie bis auf den Moischenstein“ (P. Kühl 1933). Erst nach dem am 18. März 1898 abgeschlossenen Staatsvertrag zwischen Mecklenburg und Preußen, der den Ahrenshooper Rezess aufhob, kam es endlich zu gemeinsamen Festlegungen der Fischerei im gesamten Saaler Bodden. Das steinerne Flur- und Rechtsdenkmal als bedeutendes Zeugnis und Zankapfel ehemaliger politischer und wirtschaftlicher Grenzen Mecklenburg und Pommerns war damit gegenstandslos geworden. Behördlich jedoch besitzt der Moischenstein für die Stadt Ribnitz-Damgarten gegenwärtig noch eine juristische Funktion. So ist in der „Satzung über die Ausübung des dinglichen Fischereirechtes der Stadt Ribnitz-Damgarten (Fischereisatzung) vom 6. November 2007“ im § 1: Umfang des Fischereirechts folgendes festgelegt: „Die Stadt Ribnitz-Damgarten ist unabhängig von den jeweiligen Eigentums- und Besitzverhältnissen Inhaberin des dinglichen Fischereirechts an folgenden Gewässern: a.) Ribnitzer Wiek, b.) Ribnitzer See, c.) westlicher Teil des Saaler Boddens von der gedachten Linie vom Moischenstein nordwärts bis zum Ahrenshooper Haken, westwärts bis zum östlichen Ufer des Fischlandes“.
Der Moischenstein fand bereits auf älteren Kartenwerken Berücksichtigung, so auf der ältesten mecklenburgischen Karte des Tilemann Stella um 1578, der als Astronom und Mathematiker an den Höfen der Herzöge Johann Albrecht I. (1547-1576) zu Güstrow und Schwerin und Ulrich zu Güstrow (1555-1603) wirkte, und den Schwedischen Matrikelkarten von 1692. Früher sollte auf dem im flachen Wasser liegenden Stein eine eingemeißelte dänische oder mecklenburgische Krone zu sehen gewesen sein. Bei einer Exkursion des Verfassers am 13. April d. J. vor Ort, war davon nichts mehr zu bemerken, aber der Stein, der heute trockenen Fußes zu erreichen ist, beeindruckte durch seine Herzform an der Oberfläche. Das Volumen des Steins muss aber viel größer gewesen sein, als es sich gegenwärtig zeigt, da das Flurdenkmal im Laufe der Zeit in der sumpfigen Uferzone allmählich einsank. So ist einer älteren Mitteilung zu entnehmen, dass der Moischenstein seinerzeit auch „Mäuschenstein“ hieß und damals die Gestalt einer abgestumpften Pyramide aufwies. Der Stein war damals 2,5 m lang, 2,0 m breit und 2,5 m hoch und ragte bei niedrigem Wasserstand 1,5 m aus dem Boden. Wie der Moischenstein zu dem Namen „Mäuschenstein“ kam, erklärt die Sage (nach A. Haas 1925) so: „Dieser Steinblock heißt im Volksmund der Mäuschenstein (weil) … unter ihm alle kleinen Kinder verpackt (liegen), welche in Langendamm innerhalb zweier Jahre geboren werden; von ihm holt die der Adebar (Storch) ab, um sie in die einzelnen Häuser zu bringen. Wenn der Vorrat an Kindern erschöpft ist, wir er nach zwei Jahren erneuert. In Langendamm herrscht darum auch ein ordentlich großer Kinderreichtum; es gibt dort Familien mit 10 bis zu 14 Kindern. Nun werden die kleineren Kinder dort zu Lande `min lütt Mäuschen` angeredet und man sagt, darum wäre der Stein `Mäuschenstein` genannt worden. Man erzählt ferner, vor langen Jahren wäre der Mäuschenstein einmal umgekippt und auf der jetzt unten liegenden Seite des Steines wären lateinische Schriftzeichen eingegraben“.
Eine gewisse Faszination und magische Anziehungskraft übt der Stein auch in unserer modernen Zeit auf diejenigen aus, die sich der Geschichte und Natur unserer Heimat verbunden fühlen.
Lutz Mohr (Diplomhistoriker)
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